Unser heutiges Europa ist vielen Heldentaten zu verdanken – großen, kleinen, lauten und leisen.

Im Mai 2017 verstarb ein Retter unserer Welt, unbemerkt und leise. Unbemerkt blieb auch seine Heldentat inmitten des kalten Krieges. Viele Wendepunkte hatten den Ausbruch eines 3. Weltkrieges verhindert, einen davon haben wir Stanislaw Petrow zu verdanken.

Stanislaw Petrow, Quelle: Wikipedia

In einer Septembernacht 1983 südlich von Moskau tritt der 44-jährige Oberstleutnant Stanislaw Petrow seinen Dienst in einer geheimen Kommandozentrale der sowjetischen Satellitenüberwachung an. Seine Aufgabe ist es, das Frühwarnsystem zu beobachten, das den Start von amerikanischen Nuklearraketen erkennen soll. Zu jener Zeit, dem Höhepunkt des kalten Krieges, standen in der Sowjetunion hunderte Raketen abschussbereit auf westliche Ziele. Jede Rakete besaß ein Vielfaches der Sprengkraft der 1945 über Japan abgeworfenen Atombomben.

Kurz nach Mitternacht meldet das Computersystem den Ernstfall – den Abschuss einer amerikanischen Atomrakete. Sirenen heulen auf, der Bildschirm zeigt in riesigen roten Buchstaben das Wort „RAKETENSTART“, Panik bricht aus in der Kommandozentrale. Offizier Petrow weiß, dass wenig Zeit für Entscheidungen bleibt – kann er dem Computersystem vertrauen, handelt es sich um einen Fehlalarm, soll er die Anweisungen befolgen? In weniger als 20 Minuten würden die amerikanischen Raketen ihr Ziel in der Sowjetunion erreichen… Das System zeigt keinerlei Anzeichen einer Fehlfunktion, nun sollen die Satellitenbilder den Raketenabschuss bestätigen. Doch in den USA geht gerade die Sonne unter und die Raketenbasen liegen im Gegenlicht verborgen. Hunderte Lichtpunkte sind auf den Satellitenbildern zu sehen, ein Raketenstart ist darunter nicht auszumachen. Stanislaw Petrow vertraut seinem analytischen Verstand und seinem Instinkt. Noch während er seinem Vorgesetzten telefonisch Meldung erstattet und einen Fehlalarm meldet, ertönt die zweite Warnung – ein weiterer Raketenabschuss wird angezeigt. Insgesamt werden innerhalb kürzester Zeit 5 Raketenstarts vom Frühwarnsystem erkannt.

Stanislaw Petrow wusste, dass die USA einen Angriff mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit einzelnen Raketen starten würden, sondern mit einem Massenstart. Als diensthabender Offizier und Schichtleiter war es seine Aufgabe, die Lage zu interpretieren. Er blieb bei seiner Entscheidung – der wichtigsten seines Lebens – und meldete offiziell einen Fehlalarm. Ein Raketenangriff hätte einen sofortigen massiven atomaren Vergeltungsschlag zur Folge gehabt. Er wollte nicht verantwortlich sein für ein nukleares Armageddon und den Tod von hunderten Millionen von Menschen. 17 Minuten – die längsten seines Lebens – vergingen, bis das Bodenradar meldete, dass keine Raketen im Anflug waren. Sein mutiges und besonnenes Handeln in jener Nacht hat das Leben von vielen Millionen Menschen gerettet.

Der stille Held Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow wurde am 7. September 1939 in Tschernigowka bei Wladiwostok geboren und verstarb am 19. Mai 2017 in Frjasino bei Moskau. Sein Tod wurde erst im September darauf öffentlich bekannt und fand wenig mediale Beachtung.

 

Ursula Feuerherdt
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